BÖZBERG

BÖZBERG

Ein Schweizer-Land-Krimi. Seit dem 1. November 2023 monatlich 1 Kapitel.

Von Stephan M. Porchet-Pagnoncini 

KAPITEL 8 - FLASHBACK

KAPITEL 8 - FLASHBACK

Wie jedes Jahr feierten die Schinznacher ihr Rebblütenfest. Wie immer war es ein typisches Dorffest. Organisiert von der Weinbaugenossenschaft stellten die Winzer und Vereine ein buntes Potpourri an Attraktionen, Ständen, Verpflegung und Unterhaltung zusammen. Und wie jedes Jahr, fand das Fest am dritten Wochenende im Juni statt. Es war an jenem Freitagabend im Juni vor fünfunddreissig Jahren, als der damals einundvierzig Jährige Thijs Janssen den offiziellen Festakt eröffnete. Da es zum guten Ton unter Weinbauern gehörte, kamen alle Aargauer Winzer an dem Wochenende zusammen. Der Wein floss in Strömen und so manch einer musste sein Auto stehen lassen und sogar darin schlafen.

Das Fest ging bei Prachtswetter und gut gelaunten Gästen über die Bühne. Die Geschäfte florierten und es wurde eifrig konsumiert. Die Vereine, Winzer, die Standbetreibe und die Schausteller waren allesamt hochzufrieden und es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Thijs Janssen sass zusammen mit seinen engsten Winzerfreunden an einer Bierbank im offiziellen Festzelt. Allesamt waren sie schon ziemlich angesäuselt, als er, zum Erstaunen seiner Frau Theres, spontan zu einer Grillparty auf seinem Weingut Römerhof, hoch oberhalb von Schinznach, einlud. Theres versuchte dem entgegenzuwirken, aber Thijs Janssens Entschluss stand fest und er orderte beim Aare-Taxi drei Fahrzeuge. Wenige Minuten später war die illustre Gesellschaft unterwegs und verliess leicht taumelnd das Festgelände. Einige Fahrminuten später kamen sie auf dem altehrwürdigen Weingut an und Janssen dirigierte die sieben Paare zu einer Art überdachter Loggia, ganz im Stil eines Tessiner Grottos. Die Gäste liessen sich johlend nieder und Thijs verschwand in seinem Weinkeller. Auf dem Weg dorthin traf er einen seiner Mitarbeiter Karl Piper und gab ihm die Anweisungen ein Barbeque vorzubereiten und den grossen Outdoorgrill anzufeuern. Kurze Zeit später kam er mit mehreren Flaschen Rot- und Weisswein und einem Tablett Gläser zurück. „Willst du uns wieder deinen Fusel auftischen?“, lachte Benno Erdin und klopfte dabei Janssen auf die Schulter. Die anderen lachten laut. „Nein“, entgegnete Thijs, „den mit Korken, so wie du letztes Jahr.“ Wieder schallendes Gelächter. Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich. Ausser Theres Janssen, die den Alkohol bislang am Winzerfest ausschlug, sass mit steinerner Miene am Tisch und nippte an ihrem Wasserglas. „Jemand muss ja noch einen klaren Kopf bewahren“, sagte sie immer. „Ach komm“, schubste sie Rahel Herzog, welche neben ihr sass, sachte an. Jetzt sei doch auch ein bisschen lustig. „Lass uns doch den Spass haben. Komm jetzt trink endlich auch mit, du bist ja schliesslich hier zu Hause.“ Theres nickte stumm. Rahel schenkte ihr ein grosses Glas Weisswein ein. Sie setzte an und trank den Wein in einem Zug aus. „Bravo“, rief Andrea Schmid. „So gefällt uns das schon besser“, ergänzte Anita Erdin. Und schon war das Glas von Theres wieder voll. Sie tranken und tranken. Sie sangen Lieder und assen. Langsam ging die Sonne über dem Aaretal unter und Thijs holte seine Handorgel hervor und begann französische Chansons zu spielen. Der Wein floss in Strömen. Und so sassen Sie auf dieser abgeschirmten Loggia. Die Paare Benno und Anita Erdin aus Gansingen. Max und Rahel Herzog aus Zeihen. Otto und Andrea Schmid aus Effingen. Beat und Barbara Fricker aus Schinznach. Peter und Vreni Sacher aus Hornussen. Rolf und Margrith Schreiber aus Remigen. Hans und Petra Winter aus Villnachern. Und Thijs und Theres Janssen aus Schinznach. Ein fröhlicher Abend mit einer nicht vorhersehbaren Wendung nahm seinen Lauf.

 

Sie wurden immer ausgelassener. Sie tanzten auf den Tischen und die Paare mischten sich immer mehr untereinander. Thijs spielte „La vie en rose“ von Edith Piaf. Sie grölten lautstark mit und sassen kreuz und quer, standen oder tanzten. Max Herzog mit Anita Erdin. Eng umschlungen. Benno Erdin wiederum mit dessen Frau Rahel. Ein kunterbuntes Treiben herrschte auf dem Weingut Janssen an jenem Abend. Plötzlich stupste Vreni Sacher Hans Winter, der neben ihr auf dem Tisch sass, an und deutet mit dem Kinn zu den tanzenden Paaren. Max und Anita tanzten nicht nur, sie küssten sich dabei innig. „Was die können, können wir schon lange“, lallte Vreni und zog Hans zu sich und küsste ihn auf den Mund. Dieser erwiderte den Kuss. Das wiederum sah seine Frau Petra und schnappte sich Beat Fricker. Der eine Kuss von Max und Anita löste eine Kettenreaktion aus und in der, vom Alkohol gelösten Stimmung, viel die Hemmschwelle wie Dominosteine. Niemand wehrte sich oder hatte einen Einwand.

 

Die Musik verstummte, als Thijs seine Handorgel abstellte und Andrea Schmid zu sich zog und gleiches tat. Und so mischten sich die Paare an diesem Abend neu. Plötzlich begann Barbara Fricker, welche mit Rolf Schreiber geküsst hatte, sich auszuziehen. Nackt stellte sie sich vor Rolf und begann ihm die Hose zu öffnen. Er knöpfte sich das Hemd auf, sie zog ihm die Hose runter und begann ihn zwischen den Beinen zu massieren. Sie hockte sich auf den Granittisch, spreizte die Beine und zog ihn zu sich heran. Laut stöhnte sie auf, als er in sie eindrang. Nun war eine Grenze überschritten. Als hätten die anderen Paare darauf gewartet, vielen die Hüllen. Sie fielen übereinander her wie ausgehungerte Tiere. Während des Aktes tippte Otto Schmid auf die Schulter von Beat Fricker und flüsterte ihm etwas ins Ohr. „Klar“ sagte Beat und tauschte mit ihm seine Partnerin. Im Sinnesrausch entwickelte sich der Abend zu einer wahren Orgie. Jeder mit jedem kam zum sexuellen Höhepunkt. Stundenlang vergnügten sie sich miteinander. Ohne Punkt und Komma. Und irgendwann frühmorgens, es wurde schon wieder langsam hell am Horizont, schafften sie es noch ins Wohnhaus von Janssens und schliefen, wie sie Gott schuf, irgendwo kreuz und quer. In Thijs und Theres Schlafzimmer lagen sie zu dritt auf dem Bett, der Rest verteilte sich in den Gästebetten und auf den Sofas im Haus. Dann, so gegen vier Uhr dreissig morgens kehrte endlich Ruhe ein.

 

Bis um zehn Uhr war absolute Stille auf dem Weingut Janssen. Dann, sukzessive erwachte die Gruppe. Schädelbrummen allenthalben. Die Ersten schlurften, zum Teil nur in Unterwäsche gekleidet, in die Küche. „Kaffee“, murmelte Barbara Fricker und startete die Filterkaffeemaschine. Halbnackt, nur mit einem Unterleibchen bekleidet, stand sie in der Küche. Rolf Schreiber schlich sich nackt in die Küche. Als er Barbara am Fenster stehen sah, regte sich bei ihm sogleich wieder etwas. Er drückte sich frech von hinten an sie und griff ihr von hinten an die Brüste. „Hej“, drehte sie sich um und schaute ihn lüstern an. Sie hockte sich auf die Ablage und öffnete willig ihre Beine. Sie liess die Penetration zu. Während dem sich die Beiden erneut vergnügten, gurgelte die Kaffeemaschine. Sie stöhnte laut auf, als er ihr einen Orgasmus bescherte und er kurz darauf auch zum Höhepunkt kam. Sie küsste ihn auf die Wange und schubste ihn sanft von sich weg. „Husch jetzt, Schluss, ich geh jetzt duschen“, flüsterte Fricker und tippelte auf den Zehenspitzen aus der Küche. Schreiber hatte ein fettes Grinsen im Gesicht, griff zur Kaffeekanne, holte sich aus dem Küchenschrank eine Tasse und füllte sie. Er trank die Kaffee schwarz. Und wie Gott ihn schuf, stand er mitten in der Küche von Janssens.

 

Eine gute halbe Stunde später kam Leben in das Haus. Sukzessive erwachten alle aus ihrem komatösen Schlaf. Einige hatten einen dröhnenden Schädel. „Theres“, hast du Alka-Selzer im Haus?“, fragte Vreni Sacher. „Warte“, sagte Theres und ging ins Badezimmer. Sie öffnete den Sanitätsschrank und holte eine grosse Packung raus. „Ich bitte auch“, sagte Petra Winter. „Schlimm“ fragte Theres. „Was, gestern Nacht?“, konterte Petra. „Auch, aber ich meine den Kopf“, so Theres. Und Petra flüsterte: „Es geht. Und zu gestern Nacht: Nein. Es war einfach nur geil.“ Theres Janssen errötete und nickte stumm. Die anderen Frauen gesellten sich zu ihnen in der Küche und sassen um den Tisch, während die Männer sich im Wohnzimmer versammelten. Die Packung Alka-Selzer war schnell aufgebraucht und die Kaffeemaschine lief am Limit. Es war, als wurde in der vergangenen Nacht eine Grenze niedergerissen, denn die Frauen schienen stark zusammen gewachsen zu sein. Sie lagen sich gegenseitig in den Armen und es herrschte eine unglaubliche Nähe. Das gemeinsame Erlebnis schien sie näher aneinander geschweisst zu haben, als sie glauben wollten. Vielleicht war es aber auch ein Überspielen der unglaublichen Nacht, ein nicht wahrhaben wollen was passiert ist. Die Frau schlossen am Küchentisch von Theres Janssen schliesslich einen Pakt. Sie vereinbarten ein Stillschweigen, über das Ereignis. Kein Wort würde jemals nach aussen getragen und sie würden für immer füreinander da sein. Egal was kommen mag. Theres holte einen Selbstgebrannten aus dem Küchen Schaft, stellte Schnapsgläser auf den Tisch und goss für jede der Frauen einen Grossen ein. „Auf uns Winzerfrauen. Alle für Eine, eine für Alle“, sagte Anita Erdin. „Auf uns Winzerfrauen. Alle für Eine, eine für Alle“, skandierten die anderen hinterher. „Prost!“

 

Die Männer indes im Wohnzimmer strotzten vor Testosteron. Für sie war klar, dass der vergangene Abend und die Nacht etwas vom geilsten war, was sie je erlebt hätten. Von Eifersucht keine Spur, im Gegenteil. Sie fanden diesen Partnertausch berauschend und gab ihnen offensichtlich einen Kick. Und doch. Irgend etwas hatte sich verändert, letzte Nacht. Bei den Paaren, bei den Freundschaften. Es war nicht mehr so, wie es am Abend zuvor noch war. Nach dem sie gefrühstückt hatten, verabschiedeten sie sich und zogen von dannen.

 

Da sassen sie nun. Thijs und Theres Janssen. In ihrer Küche des stattlichen Riegelhauses, mitten im Weinberg, oberhalb von Schinznach. Er hielt die vierte Tasse Kaffee mit beiden Händen, die Ellenbogen auf den Küchentisch aufgestützt und liess die letzten Stunden noch einmal Revue passieren. Sein Schädel brummte. Und dennoch hockte er grinsend da. „Das war…“, fing er den Satz an, wurde aber von seiner Frau mit einem Fingerzeig gestoppt. „Sag es nicht Thijs, sag es nicht.“ „Speziell“ kam es noch aus seinem Mund. Er streckte seine Hand nach der ihren aus, doch sie erwiderte seine Geste nicht. Wortlos stand sie auf, ging zur Küchenablage und begann das schmutzige Geschirr in den Geschirrspüler einzuräumen. Mit einem energischen Ruck schob er den Hocker zurück, stand auf und verliess die Küche. Dabei murmelte er: „Dann gehe ich mal draussen Ordnung machen.“ Er zog die Küchentüre mit einem lauten Knall hinter sich zu. Er verstand nicht, warum seine Frau sich gerade so verhielt. Denn schliesslich liess sie es ja auch zu, letzte Nacht. Und das nicht wenig. Er grübelte an der Situation herum, während er über den Hofplatz zur Pergola hinüberschlurfte. „Dann wollen wir mal“, stöhnte er vor sich hin und begann die Spuren des Abends und der Nacht zu beseitigen.

 

In seinem kleinen Einliegerstudio auf dem Hof Janssen sass der Mitarbeiter Karl Piper an seinem kleinen Esstisch. Vor ihm eine geöffnete, halbvolle Bierflasche, in der Hand hielt er einen kleinen Videorekorder. Das Display war ausgeklappt. Er schaute sich die Aufnahmen an. Seine Hose war geöffnet und er holte sich einen runter. Auf dem kleinen Bildschirm waren die Paare der letzten Nacht bei ihrer wilden Orgie zu sehen.

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